Donnerstag, Mai 22, 2008

Ende ... oder ANFANG ?

Über uns leuchteten die Sterne Gottes; vor uns brannten die Lichtreste des Christbaumes; sie waren abgebrannt und begannen, nacheinander zu erlöschen. So verlischt das Menschenleben hier im Erdenthale; aber droben am Firmamente leuchten die Wahrzeichen des ewigen Lebens weiter, und jeder Strahl von ihnen soll uns sagen, daß der Tod nichts anderes als die Pforte des Himmels, der Anfang einer herrlichen Auferstehung sei. Der Sterbende faltete die Hände und ließ sein Auge stumm auffordernd rund im Kreise gehen; er wurde verstanden, und jeder legte die Hände auch zusammen. Ein milder, frommer Gotteshauch schien durch das abgeschlossene Thal zu wehen; es lagerte rings um uns jetzt in Wahrheit das, wovon das liebe Christlied singt: eine stille Nacht, eine heilige Nacht. Mit einem seligen Lächeln auf dem todesbleichen, eingefallenen Angesicht begann Carpio:

»Ich verkünde große Freude,
Die Euch widerfahren ist,
Denn geboren wurde heute
Euer Heiland Jesus Christ!

Jubelnd tönt es durch die Sphären,
Sonnen künden's jedem Stern;
Weihrauch duftet auf Altären,
Beter knieen nah und fern. - - -«

Er hatte laut angefangen; aber seine Stimme verlor von Strophe zu Strophe mehr von ihrer Stärke, doch hörte man bei der rundum herrschenden tiefen Stille deutlich jedes einzelne Wort. Ich sah, daß er die Augen schloß, dennoch sprach er weiter, langsamer und immer langsamer. Es klang so fremd, so sonderbar, wie aus einer andern, uns unbekannten Sphäre herüber. Ich war tief erschüttert und weinte wie ein Kind; ob auch andere weinten, sah ich nicht, weil die Thränen mir ohne Aufhören die Augen füllten. Bei der Stelle

»Und der Priester legt die Hände,
Segnend auf des Toten Haupt«

breitete er die Arme aus und fuhr mit erhobener Stimme fort:

»Selig, wer bis an das Ende
An die ew'ge Liebe glaubt!«

Damit war aber seine Kraft erschöpft, denn nun klang es leiser, immer leiser, nach und nach ersterbend:

»Selig, wer aus Herzensgrunde
Nach der - - Lebensquelle - - strebt
Und - - noch in der - - letzten - Stunde
Seinen - - Blick - - zum Himmel - - - -«


und das letzte Wort »hebt« verhauchte in einem fast unhörbaren Seufzer. Carpio war tot. Der Himmel hatte nicht nur seinen letzten Blick, sondern ihn selbst emporgezogen. Das letzte Licht am Baum verlöschte; es war, als ob das ganze Thal und jeder von uns stumm geworden sei. Ich hielt den Toten noch fest an der Brust. Da bog Hiller sich von seinem Platze weit herüber, legte ihm die Hand auf das niedergesunkene Haupt und vollendete mit vor Bewegung zitternder Stimme das Gedicht:

»Suchtest du noch im Verscheiden
Droben den Erlösungsstern,
Wird er dich zur Wahrheit leiten
Und zur Herrlichkeit des Herrn.

Darum gilt auch dir die Freude,
Die uns widerfahren ist,
Denn geboren wurde heute
Auch dein Heiland Jesus Christ!« - - -

( aus "Weihnacht" von Karl May )

Was bleibt mir da zu sagen???

A M E N

Euch viele Grüße & Gottes Segen!
><>
*JC

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